Schachspieler können abergläubisch sein. Als Gelnhausens Erste im letzten Spiel der Saison 2006/ 2007 durch ein 6: 2 gegen Schachfreunde Frankfurt sensationell den Aufstieg in die Verbandsliga schaffte, mussten die Barbarossastädter in das Hotel Burgmühle ausweichen. „Dieser Spielort bringt uns Glück“, meinten die Gelnhäuser Ritter des Königlichen Spiels – und buchten sich für ihre vier Verbandsliga- Heimspiele wieder in der „Burgmühle“ ein.
In der Verbandsliga gibt es vier Kandidaten für zwei – im schlechten Fall sogar drei – Absteiger. Aufsteiger Gelnhausen gehört natürlich zu diesen Wackelkandidaten, ebenso der Gast im ersten Heimspiel, die Schachfreunde Wieseck. Am Ufer der Kinzig kam es zu einem Vier-Punkte-Match, dessen Dramatik in die Geschichte des Schachclubs Gelnhausen eingehen wird.
Ulli Müller, Gelnhäuser Punktejäger der letzten Jahre, und der „Weiße Hai“ Michael Schmitt sind gefürchtete Angriffsspieler. Auf beide hatten sich die Wiesecker glänzend vorbereitet. Die Kontrahenten aus dem Gießener Land wählten sichere Verteidigungen und ließen keine Durchbrüche oder Königsangriffe zu. So endeten beide Partien leistungsgerecht mit Remis, das zwischenzeitliche 1: 1 ließ beiden Teams alle Chancen.
Der Gelnhäuser „Basti Fantasti“ Bravo Lutz gehört auch in der Verbandsliga zur Spitzenklasse. Mit leichter Hand baute er seine Stellung auf und stellte dabei seinen Gegner vor strategische und taktische Probleme. Für diese fand der Wiesecker zwar beachtliche Lösungen, geriet aber in fürchterliche Zeitnot. Fünf Züge vor der Zeitkontrolle fiel das Blättchen der unerbittlichen Schachuhr, „Basti Fantasti“ hatte wieder einmal gewonnen. Ein anderer Gelnhäuser hatte mutig Material geopfert, doch sein Königsangriff wurde gestoppt. Jetzt war die Partie nicht mehr zu halten, Wieseck konnte ausgleichen. Stefan Reh hatte indessen die bessere Stellung erlangt, geriet aber in Zeitnot. Als starker Blitzer blieb der Barbarossastädter ganz cool, doch sein Gegner wurde plötzlich hektisch, wollte den Gelnhäuser zu einem Fehler verleiten – und stellte dabei selbst einen Springer ein ! Reh wickelte trocken ab, und nach der Zeitkontrolle, die immer nach dem 40. Zug erfolgt, gab sein Kontrahent auf. Es stand 3: 2 für Gelnhausen.
Doch was war an den drei anderen Brettern los ? Vor dem 40. Zug setzte das Uhrengehacke ein, auf Gelnhäuser Seite ging es für Muth und Sroka um Sekunden – beide schafften es. In dieser Hektik, in der die Uhrengeräusche manchmal vom leidvollen Stöhnen eines Spielers übertönt werden, bewahrte vor allem der nationale Schiedsrichter Thomas Rondio aus Bad Orb als souveräner Turnierleiter Ruhe und Übersicht.
Als die Zeitkontrolle vorüber war, konnte man Sorgenfalten und ernste Mienen bei den Gelnhäusern erkennen. Wo sollte der fehlende Punkt zu einem 4: 4 herkommen ? Dirk Sroka hatte eine Qualität weniger ( Läufer gegen Turm ), Peter Dächert musste einen Mehrbauern seines Gegners aufhalten, Armin Muth stand auf Verlust. Die drei kämpften wie die Löwen – doch würde das reichen?
Endspielkünstler Dirk Sroka pendelte so geschickt mit dem Läufer, dass der gegnerische Turm weder Mattdrohungen noch einen Läufergewinn drohen konnte. Als dreimal die gleiche Stellung auf dem Brett stand, war die Partie remis.
Peter Dächert blockierte den gegnerischen Freibauern und konnte eine aktive Stellung für seinen Turm erreichen. Sein Gegner unternahm noch einige vergebliche Versuche, seinen Mehrbauern zu verwerten, musste aber schließlich in das Remis einwilligen. 4: 3, und die Barbarossastädter feierten Peter Dächert, denn er hatte den so wichtigen Mannschaftspunkt zum 4: 4 gerettet.
Nach schwacher Eröffnung drohte Armin Muth im gegnerischen Angriff unterzugehen. Nachdem sein Gegner zwei Killerzüge ausgelassen hatte, konnte sich der Gelnhäuser zwar befreien, musste aber im Endspiel gegen einen Freibauern auf der vorletzten Reihe unterliegen. Nach fast 90 Zügen hing zudem das Blättchen seiner Uhr vor dem Fall. Als sich die Gäste schon zum Jubeln anschickten, stellte „Darth Vader“ seinem völlig arglosen Gegner eine letzte teuflische Falle – und setzte plötzlich mit der Dame matt!
In der „Burgmühle“ spielten sich danach Szenen ab wie in einem Bühnendrama. Die Wiesecker sanken entsetzt auf die Stühle, einige riefen „Nein, nein! “. Muths Gegner, der die ganze Partie über klar auf Gewinn gestanden hatte, saß erstarrt am Brett und schlug dann die Hände vors Gesicht. Armin Muth sprang auf, ballte die Becker- Faust und rannte mit den Rufen „Matt, jaaaaa, Matt“ durch die Burgmühle. Jugendliche Gelnhäuser Kiebitze eilten ihm nach. Stefan Reh schüttelte den Kopf und rief : „Unglaublich, wie damals in Fechenheim“. Nachdem Schiri Thomas Rondio Formulare und Schachuhr kontrolliert hatte, fragte Sebastian Bravo Lutz: „Wieviel Zeit hatte „Darth Vader“ eigentlich noch ?“, und drückte dessen Uhr. Nach nur drei Sekunden fiel das Blättchen, was den Schmerz der Gäste noch verschärfte. Der Barbarossastädter hatte ganze drei Sekunden vor seinem eigenen „Schachtod“ den Gegner matt gesetzt!
Mit 5:3 haben die Gelnhäuser ein ganz wichtiges Spiel gewonnen. Wieseck war ein mindestens gleichwertiger Gegner. Und die Abergläubischen haben Recht behalten – es kam bereits zum zweiten „Wunder in der Burgmühle“